Mein Blick auf Afrika

Einer der Gründe für meinen Freiwilligendienst ist die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur, wobei mich besonders Afrika fasziniert hat. Zwischen dem, wie man in Deutschland über Afrika denkt, und der Realität hier gibt es aber viele Unterschiede und das, was ich über Gabun wusste, bevor ich hierherkam, waren nur einzelne Facetten eines äußerst vielfältigen und spannenden Landes. Die Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur ist für mich ein ständiges Thema, deshalb hier eine Reflexion.

Unsere Perspektive auf Afrika

Wenn man in Deutschland an Afrika denkt, denkt man oft zuerst an eines: Mangel. Man denkt an die Gesichter von ausgezehrten Kindern, die auf Plakaten mit Spendenaufrufen abgebildet sind. Politisch sind da Krieg und Korruption mit den Konsequenzen Armut, Hunger und Leid. Und auch der HDI, der Index der menschlichen Entwicklung, scheint diesem Eindruck rechtzugeben: Unter den letzten 20 Ländern der Liste sind bis auf Afghanistan nur afrikanische Ländern vertreten, und den ersten 20 bis auf die VAE kein einziges. Die passende Karte dazu unterlegt das mit bedrohlichen Rot- und Brauntönen auf dem afrikanischen Kontinent. Beim Auswärtigen Amt findet man seitenweise Sicherheitshinweise, möchte man sich zur Reise in afrikanische Länder informieren.
Wenn ich also nach dem Abitur erklärt habe, dass ich einen Freiwilligendienst in Gabun machen möchte, kam meist zuerst die Frage: Wo genau liegt das eigentlich? Ich erkläre: Gabun ist ein Land in Zentralwestafrika, es grenzt an Kamerun und den Kongo. Und dann wird in vielen (nicht allen!) Fällen mit Sorge reagiert oder auch mit Freude, es ist schließlich gut, durch ein Volontariat denen etwas zu geben, die nicht so viel haben. Solche Reaktionen haben mir vor allem eines gezeigt: Wir wissen sehr wenig über Afrika. Mich selbst eingeschlossen – was hab ich nicht alles mit hierher geschleppt, weil ich mir unsicher war, ob ich das in Oyem bekommen kann. Bei der afrikanischen Kultur ist es mit den Vorstellungen ähnlich: Afrika, das sei bunt, laut, freundlich, voller Freude und Tanz und Trommeln. Oft verbunden mit dem Gedanken, materieller Mangel führe zu Dankbarkeit für das wenige, was man hat, und verringerter Konsum führe zu verbesserten zwischenmenschlichen Beziehungen. Über Afrika findet man viele Vorurteile, wenig Wertschätzung von Sprache und Kultur, vergleichsweise wenig Empathie (Krieg und Hunger in Afrika – nichts Besonderes) und für all jene, die das ändern wollen, kaum Informationen. Vor meinem Freiwilligendienst in Gabun wollte ich mich über das Land informieren und habe nach Dokus gesucht. Ich hab auch welche gefunden, die aber alle den Regenwald und die Artenvielfalt in Gabun behandelten. Zu Mensch, Gesellschaft und Kultur – wenig bis gar nichts.

Perspektivwechsel im Freiwilligendienst

Jetzt bin ich hier in Oyem und erlebe die Realität jenseits von Erwartungen. Gerade aber auch deshalb merke ich, wie begrenzt mein Wissen und meine Perspektive eigentlich sind. Zum einen gleicht mein Leben hier meinem Leben in Deutschland mehr als erwartet: Es gibt fließendes Wasser und Internet, meine Wäsche wasche ich mit der Waschmaschine und abends schauen wir am Fernseher die Nachrichten, Werbung und Filme an, die im gabunischen Fernsehen so laufen. Zum anderen ist die Mentalität hier ganz anders (und natürlich auch von Person zu Person anders ausgeprägt) und der Entwicklungsstand des Landes bricht immer wieder in mein doch eher privilegiertes Leben bei den Schwestern ein: Der Strom fällt aus, Michprodukte gibt es nicht oder sie sind sehr teuer und Autofahren ist eine holprige Angelegenheit. Da merke ich schon, wie vieles für mich selbstverständlich oder normal ist, aber auch dass das Leben hier in Gabun trotzdem genauso lebenswert und normal ist wie in Deutschland.
Es bleibt eine Spannung, Afrika in seiner Kultur und Vielfalt gleichwertig zu behandeln und dabei die materiellen Ungleichheiten nicht zu ignorieren. Und gerade auch in meiner Rolle als Weiße führt das zu inneren Konflikten. In der Schule beispielsweise kommt ein Kind zu mir und bittet um Geld, um sich am Kiosk eine Brotzeit zu kaufen. Soll ich dem Kind etwas geben, weil die Eltern vielleicht zu arm sind, um ihm das Geld zu geben und ich als Christin aufgefordert bin, ihm zu helfen? Wenn ich ihm etwas gebe, inszeniere ich mich dann nicht als „white saviour“ und halte koloniale Abhängigkeitsverhältnisse aufrecht? Oder braucht das Kind mein Geld eigentlich gar nicht, hat aber gelernt, dass Weiße reich sind, und versucht das auszunutzen? Ein einfacher alltäglicher Konflikt kann sich so mit ganz schön viel historischem und politischem Gewicht aufladen.

Grenzen und Geduld

Auch wenn viele Länder Afrikas ähnliche Strukturprobleme haben, bleibt meine Erfahrung auf Gabun beschränkt, auf Oyem, auf mein Leben bei den Schwestern. Und in manchen Bereichen merke ich auch, wie meine Perspektive sich gewandelt hat, zum Beispiel die Politik. Als ich angekommen und das erste Mal durch Libreville gefahren bin, sind mir die vielen Plakate von (damals Transitions-)Präsident Brice Clotaire Oligui Nguema wie Propaganda vorgekommen. Ein Putschist, ein General, der eine Militärdiktatur eingerichtet hat und dem auf den Plakaten auch noch dafür gedankt wird. Eine Schwester hat mir dann erklärt, dass Oligui im Land viel vorangebracht hat und die Bevölkerung ihn dafür feiert. Ich hab das so hingenommen, mir aber gedacht, dass er ja trotzdem Demokratie verhindert, der Cousin von Ali Bongo ist und damit die Macht der im Putsch gestürzten Dynastie aufrecht erhält. Vielleicht ist er ja nicht ganz so schlimm wie die Bongos – aber muss wirklich sein Gesicht an jeder Straßenlampe kleben?
Seitdem ist viel passiert. Ich hab die vielen Straßen gesehen, an denen gearbeitet wird, darunter die Straße direkt vor unserer Haustür. Das Volk hat per Abstimmung eine neue Verfassung angenommen und erst letztes Wochenende Oligui zum Präsidenten gewählt, in Wahlen, die deutlich transparenter abliefen als die Male davor. Ob die 90,35 % an Stimmen stimmen und wie fair die Wahlbedingungen für die Gegenkandidaten waren, kann ich nicht sagen. Aber wenn sich die Menschen begrüßen und austauschen heißt es nicht „Oligui hat gewonnen“, sondern „Wir haben gewonnen!“. Gabun hat eine gewählte, stabile, richtige Regierung, gewinnt durch den Putsch verlorengegangene Glaubwürdigkeit zurück und geht den vielen anderen französischen Ex-Kolonien mit Militärjuntas in der Region als Vorbild voran. Anstatt über die Plakate zu urteilen, kann ich mich mit den Menschen freuen, dass es in die richtige Richtung geht.

Was ich lernen darf

Ich bin hier mit einer völlig anderen Kultur konfrontiert als ich gewohnt bin. Sowohl durch diese Konfrontation als auch von der Kultur selbst habe ich einiges gelernt, sehr viel mehr, als ich durch meine Arbeit in der Schule geben kann. Ich habe gelernt mich anzupassen und abzugrenzen, Geduld zu haben, wenn andere zu spät (oder ich zu früh?) sind, und mehr Eigenverantwortung für meine Probleme zu übernehmen, wie es hier erwartet wird. Klar habe ich auch gelernt, besser zu tanzen. Mal einen Tag ohne Strom und fließendes Wasser zu leben, wenn beides ausfällt. Und eben gleichzeitig von den Lehrerinnen, wie sie mit Schwierigkeiten der Kinder umgehen, von der Direktorin, wie Kompromisse gefunden werden können, von einer Schwester, wie man Papierblumen für Karten rollt oder Psalmen beim Gebet singt.
Wichtig für mich ist, dass ich in allen Herausforderungen nicht allein bin und von den Menschen hier viel Verständnis erfahre. Dankbar bin ich vor allem auch für die Vorbereitung von VIDES, wo das Thema kulturelle Vielfalt, Rassismus und Neokolonialismus und die damit verbundenen Herausforderungen eine große Rolle gespielt haben. Dadurch, dass wir Freiwilligen schon vor dem Einsatz gelernt haben, Interkulturalität und weltweite Ungleichheit zu reflektieren, war ich gut vorbereitet auf die Erfahrungen hier. Und auch weiterhin werden wir in allen Herausforderungen begleitet und unterstützt, sodass ich, wenn ich dann im August nach Hause komme, ganz anders auf Afrika schauen kann als davor.

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